Donnerstag, März 04, 2010

konzert: shearwater, 02.03.2010

es war so nicht abzusehen und ist dennoch folgerichtig. das sehnsuchtsvoll romantische element der musik shearwaters, getragen von der seelen- und glanzvollen stimme ihres sängers trieb immer mehr voran, das steigen musste nun ein ende nehmen, das bunte kreischen der zusammengezogenen vogelscharen auseinander gestoben, das gleißende licht bedeckt werden. die erruption stand bevor. „rook“ hielt in 2008 die balance, ohne wenn und aber ein ausdrucksstarkes, gekonnt betontes album, das vor allem durch seinen harmonischen wellenschlag überzeugte, der an die gestade ausgeklügelter und zugleich reiner arrangements rollte, ohne kitschig, überzuckert zu klingen oder in irgendeiner form überzogen zu sein. die aufgethronten schaumkronen, die gischt trieb es danach aber - die arbeit war getan, der natürliche kreislauf geschlossen - zum erlöschen. doch wie um das spiel der elemente auf die spitze zu treiben, nahm sich jonathan meiburg einen überdimensionierten quirl und bearbeitete das aufgewühlte, zerworfene meer und schürte die unruhe des getiers und verwies auf seine gebundenheit und nahm sein zugetansein zum anlass neuerlich voranzutreiben, was dem stillstand und der gott gegebenen ruhe entgegen strebte. eine überhöhung des fertigen, ein zurschaustellen der möglichkeiten, ein lobpreisen des selbst und seines (un-) maßes. gotteslästerung! "the golden archipelago" ein guss von gold in ein irdenes gefäß.
am abend des 01. märz trieben sich teile der band shearwater auf jenem berliner friedhof herum, auf dem nico ihre letzte ruhestätte fand. die stimmung, die bäume, alles gefiel den amerikanern. nicos grab aber fanden sie nicht. in münchen nun fragten sie einen tag später das anwesende publikum, ob es jemanden gäbe, der wüsste, wo sich im stillen rund des berliner friedhofs grunewald-forst diese stätte finden ließe. ein einzelner gab seine kenntnis kund, kam aber nicht in die verlegenheit einer genauen beschreibung. themen, die in ihrer art besonders, geradezu exaltiert sind, die distanz aufwerfen, sind die sache der band aus texas seit jeher. angebunden an die naturbetrachtungen des studierten ornithologen meiburg entsteht ein schaubild eindringlicher beobachtung, beschreibung und wiedergabe. die verpackung gerät ausgeklügelt, ohne sinn für effizienz, episch und sinnlich. ihre alben sind ein stetes wachsen. in ihrer hymnischen auffahrt bis zuletzt gezügelt.

die live umsetzung ist für die fünfköpfige crew (neben dem sänger: thor harris, kimberly burke, kevin schneider, jordan geiger) kein problem. ausgewiesene könner an ihren instrumenten setzen sie akzente, wo notwendig, oder lassen sich einbinden in ein kollektives liquidium, das von der bühne in das spärlich besetzte auditorium schwappt. dort angekommen spült es weich und zersetzt konzepte und erwartungen. wer nicht aufpasst, ist zum ende des auftritts einem roboter gleich nur noch fremdgesteuert, digitalisiert, programmiert. so beeindruckend ist die geballte wucht aus drumfeuerwerk einerseits und gezielter, freizügiger perkussion andererseits, aus gitarrenbe- und entschleuniger, solidem bass und feinmechanischem elektronikeinsatz. über allem schuftet der gesang meiburgs. vielmehr changiert zwischen majestätisch-hymnischem aufwerfen und süffisant-egozentrischem beklagen. für die neuen songs finden sich abziehbilder unter der sorte musiker, die sich auch weiterentwickelt haben wollen. wer peter gabriel nicht hören will, geht nicht auf dieses konzert. die setlist rekrutierte sich vorwiegend aus "the golden archipelago" und nötigte so zu voller konzentration. kein mitschaukeln, hinfort wehen angesichts bekannter harmonien. im gegenteil galt es standzuhalten: "black eyes" oder "corridors" gerieren sich als blindwütige, aufgeblähte konstrukte, "landscape at speed" ist müdes geplänkel, andere zieren sich zunächst, um wenig später im vollen ornat präsentiert zu sein. meiburgs kämpfe für die erhaltung der natur in allen ehren, musikalisch geriet dieser act ein wenig zu kalkuliert und ohne dämpfer bläst sich dieses unterfangen selbst die flamme aus. der freundlichen mannschaft ist ein solides rockkonzert gelungen, es wurde verziert durch agile progressive elemente und charme verwehten britfolks. gerade von letzterem hätte ich doch gern mehr gekostet. ein glück, dass "rooks" erklang. hieran stählte sich das bewußtsein, dass es mit shearwater noch kein ende gefunden hat.

die große kunst an diesem abend kam aber von einem ganz anderen. david thomas broughton trumpfte im vorprogramm als verwirrter troubadour, als lebensfroher habenichts, als wenig scheuer clown auf. eine große lust attestier ich ihm, eine zauberhafte gangart, ein glückliches händchen für choreographie und musisches ansinnen. man wollte ihm zueilen, die hände drücken und ihm voller frohsinn über den kopf streicheln und danken für dieses viel zu kurze aufspiel. die mischung aus poesie, folk und theater kam überraschend gut an. zunächst verwirrung stiftend, dekorierte broughton ein mikrofon mit einer kleinen staude tomaten, von der er regelmäßig naschte, wodurch ihm (natürlich) zuweilen eine klare aussprache verwehrt blieb, sampelte auf teufel komm raus und ließ aufgetürmte, aneinander gereihte oder nebeneinander stehende tonale folgen zurück, griff sich in hosensack und hemdtasche, wiederholte dies zigfach, fegte über die bühne, um ein kabel wiederholt vom mikro fallen zu lassen und ließ so wieder neue sounds entstehen.

doch in den momenten, da er die stimme hob ("not so cruel", !), dieses verzückend wesen, dieses leicht gutturale, immer wieder leicht zitternde ding ("ain't got no sole", !), griff er direkt nach den herzen. und alles floss zusammen und schien auf einen moment hinaus sinn zu machen. beherzt der blick an der hose reißverschluss, indirekt dagegen ins publikum, dramatisch verziert die bewegungen an der gitarre, verdreht, verachselt, vergebens nicht munter zu lächeln. der machte spaß! und erhielt fortwährend unterstützung aus dem kreise der shearwater mitglieder. der drummer bediente das xylophon, oboete sparsam, andere klatschten voller bedacht den rhythmus, einlagen an key- und sampleboard ergänzten. ein harmonisches miteinander. so geriet der experimentalmusiker in die fänge der schönklangtexaner? mitnichten! hier dominierte der mahlstrom aus geräuschmodulaten, die verflochten sich von song zu song hangelten. für applaus war erst zum ende zeit. das johlen und halbwillige toben im saal ließ den londoner breit grinsen. danke!
shearwater - castaways (2010)
shearwater - rooks (2008)
david thomas broughton - weight of my love

1 Kommentar:

Crunchy hat gesagt…

Hi, ich habe die Band in Berlin gesehen und fand das Konzert klasse. Danke für den Artikel! Hier gibt's übrigens einen Mitschnitt: http://tinyurl.com/ykdcyws Und hier ein kurzes Video: http://tinyurl.com/y899sxk