heute mit klienicum aus ampfing (vol. 1, vol. 2):
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neil young - comes a time
(warner bros., 1978)
meine reifezeit habe ich in einer gemeinschaft verlebt, die wert auf ernste auseinandersetzung legte, auf das herauskehren des innersten, auf ehrlichkeit, auf preisgabe der eigenen befindlichkeit und des maßes an zugewandtheit gegenüber der gruppe und jedes einzelnen mitglieds darin. politisch engagiert, dabei unverblümt im ansinnen, ungetrübt in der hoffung, unverrückbar in den sichtweisen und werturteilen. ein reife-zeugnis legte ich glücklicherweise dort nicht ab. rückblickend erscheint mir diese zeit als segen und als bürde zugleich. was sich an meinungen formen konnte, unterlag stets einer zwar wohlwollenden, wenngleich gebieterischen kontrolle. was ich an positiven gefühlen gebar, war unterwirbelt von unsicherheit, mutlosigkeit und moralinsaurer kurzsicht. doch mir widerfuhr in jenen tagen auch die vielfache begegnung mit neuer musik. der soundtrack des damals ungelenken miteinanders wurde geschrieben von the doors, paul simon, cat stevens, tom waits und neil young. unter dem glücklich beschwingten dach von "comes a time" hegte ich die hoffnung auf eine unbeschwertere zukunft und erholte mich von den wundmalen, die ich mir auf den schlachtfeldern der kontroverse und diktion holte. heute gibt es nichts schöneres, als den wunderbaren melodien dieses albums zu folgen und in erinnerungen zu schwelgen, die, weil sie der eigenen jugend gelten, lichten durchflutet sind und ungetrübt scheinen. während die kollegen den knochenweg wählten, ging ich zunächst mit herrn young aus, um mich später an kant, schopenhauer und nietzsche zu verbeissen.
"comes a time" ist 1978 die rückkehr zum country, zum durchlässigeren, willfähigen folkwerk. oder handwerk. die spuren jahrelanger ausbeutung machten sich bezahlt. die melodien fliessen, die bearbeitung der songs ist sparsam, aber ausgereift, das wogen weiter, im satten gelb stehender felder ist ebenso spürbar, wie das einvernehmliche verständnis derer, die hier miteinander tun. ben keith, tim mulligan und david briggs zeichnen neben young für die produktion verantwortlich. das "gone with the wind" orchestra (einst sollte das album "ode to the wind" heißen, einzelne exemplare mit entsprechendem aufdruck erfreuen sich heute hoher beliebtheit) bürgt für den geschmeidigen, unprätentiösen charakter: niccolette larson mit den album prägenden harmony vocals, ben keith an der steel, tim drummond am bass, spooner oldham am piano, rufus thibodeaux an der fiddle, larrie londin an den drums, um nur einige beispiele der ca. zwanzigköpfigen combo exlusive des streichorchesters zu nennen.
2. Comes a Time: aus dem rotierenden karussell mit nicolette larson befreit, unterwirft man sich der gierigen fiddel, dem munteren rhythmus einer im schritt beweglichen melodie und neil youngs unfreien, aber weissagenden stimme: "there comes a time", was gab es schöneres als dieses hoffnungsschwangere zitat?,
3. Look out for My Love: ein album, das auch von seinen wundern gleichen übergängen lebt, oder hat man sie sich aus gewohnheit weich gehört, so dass sie ineinander überfließen, sich den stimmungen ergeben oder, dort wo es nottut, entgegen wirken?, mit crazy horse wie im folgetrack spielt young einen seiner schönsten songs, der variabel strophe, refrain und bridge abarbeitet, der eine lebhafte elektrische bietet genauso wie harmoniegesang, tempozügelung genauso wie das temporäre verblassen des instrumentariums, der youngs reife dokumentiert als songwriter, sänger und frontmann,
4. Lotta Love: wie zerbrechlich das youngsche konzept zuweilen ist, zeigt sich hier, da außer klimperklavier, schepperndem schlagzeug und ein paar gitarren nichts zwischen youngs überschlagender stimme und dem song steht, dass es funktioniert, muss hier nicht ausgeschlachtet werden, erstklassig zum mitsingen resp. gröhlen, wie ich das gesamte album jahr für jahr laut mitsang,
5. Peace of Mind: der saitenanschlag, die ersten töne auf dem klavier, diese kombi geht mir noch heute nahe, da ich sie zum tausendsten mal höre, ein balladesker schauer, zurück zu nicolette, die gemeinsam mit dem meister, der steel und den stakkati im gitarrenmeer unterzugehen droht: "you know it takes a long, long time",
6. Human Highway: ganz wunderbarer country-grass song, in zwietracht die gitarren und das banjo, young/larson wieder im duett,
7. Already One: ein besinnlicher und doch wacher schaukler, den die steel in lichte höhen webt, den die geige schwelgerisch unterlegt, den young brüchig vorträgt und den die rhythmusfraktion in sicheren bahnen hält,
8. Field of Opportunity: bluegrass stomp, rough der saitenanschlag, gieriger kann sich eine fiedel kaum geben, die steel besticht durch freudiges jaulen,
9. Motorcycle Mama: ein aufmerker, mit gesalzener melodieführung, giftiger fiddle, strenger gitarre und einer auffordernd agierenden nicolette, inspiriert wurde neil young durch eine vom barhocker fallende dame in fort lauderdale,
10. Four Strong Winds: das cover von ian tyson rundet das album ab, wiegende geige, rhythmisch flagelante gitarren, warmer streichersegen und das duo larsen/young, zauberhaft.
ein album, das zur rechten zeit zur hand war, das mir an seinen gutmütigen gestaden halt gab. ein album, dem ich heute noch so treu folge wie damals. und nicht von ungefähr sind jene alben meine liebsten, die sich an mir gerieben haben, denen ich auf tausend verschiedene weisen begegnen konnte/musste.
2 Kommentare:
Na, die Neil Young Platte hätte ich nicht gewählt, aber der „Liebhaber“ greift ja gerne mal haarscharf an den einschlägigen Alben im Regal vorbei und erwählt eines der weniger offiziell abgefeierten Werke. Ich hätte im Falle von Neil Young einfallslos zu „On The Beach“ gegriffen.
es gibt einige, die ich qualitativ weiter vorn sehe, aber wenige, denen ich so verbunden bin.
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