Donnerstag, Oktober 09, 2008

in fester hand (13): mother tongue

wie sehen meine/deine lieblingsplatten aus? warum mag ich/warum magst du sie so sehr? warum geb ich/warum gibst du sie nicht mehr her? in fester hand. weil ich/weil du sie hochheben, hochleben lassen möchte/möchtest. weil ich/weil du sie nicht mehr hergebe/hergibst. in fester hand. in loser reihenfolge stellen freunde und bekannte hier ihre liebsten alben vor, in fester hand und mit ein paar worten. und geben preis, an und ab. ich füge meine mit ein.

heute DennisDet aus b.:



Mother Tongue - Mother Tongue
(Sony, 1994)

Über diese Platte hatte ich erst nur gelesen, bevor ich überhaupt einen einzigen Ton von ihr hörte. Jahrelang. Hatte immer wieder das Cover auf einer Abbildung betrachtet, das so rein, fast sakral und doch untergründig traurig auf mich wirkte. Doch das Debüt von Mother Tongue verschwand schnell vom Markt, zu schnell für mich.
Als ich es dann Jahre später in einem gammligen Second-Hand-Laden entdeckte, hatte ich bereits einiges verinnerlicht. Die Beschreibung des düsteren, aufgerauten Blues, an dem es sich nur wund reiben ließ, die exorzistische Brachialität der frühen Liveauftritte, die ein eher verstörtes Publikum zurückließen. Die Historie der Bandmitglieder, die von Niederlagen gebrochen und gehärtet schienen. Und obwohl ich nach dem Kauf mit Erwartungen nach Hause eilte, die eine beträchtliche Fallhöhe aufwiesen, wurde ich, fiebrig die Kopfhörer aufnestelnd, nicht enttäuscht.
Auch wenn der Einstieg mit seinem wilden Gitarrensolo erst einmal auf die falsche Fährte lockt. Denn Mother Tongue hatten weder ausuferndes Getöse und sich selbst spiegelnde Kraftmeierei im Sinn, sondern die straffe und konzise Bündelung eines absolut physischen und schnörkellosen Rocks (Bluesrocks würde ich schreiben, wenn dies Wort nicht so bitter belastet wäre). „Broken“ also heißt es gleich zu Beginn. Das Lied lebt von seinen Dynamikwechseln, zerreißt sich in seinen immer wieder eingestreuten Gitarrensoli. Und doch ist bereits das zu spüren, was ich an der Platte insgesamt so liebe: dass sie trotz ihrer Härte und Kompaktheit immer auch fragil erscheint, als würde sie etwas unbeholfen über einem Abgrund tänzeln. Dass ich nie das Gefühl habe, hier wird ein Spiel betrieben, eine Pose, oder ein Kompromiss angestrebt, sondern dass es hier um etwas ganz Notwendiges geht, um eine existentielle Angst, ein Ungleichgewicht, dem sich die Band komplett ausliefert. Die Aufnahmen waren dementsprechend die Hölle für alle Beteiligten und auch mit der Grund, warum sich Mother Tongue drei Jahre später vorläufig auflösen sollten. Doch was die Band in dieser Zerrissenheit produzierte und aufnahm, erreicht, zumindest für den Hörer, zumeist eine kathartische Wucht.
„Burn Baby“ beginnt, als die ganze Stadt bereits in Flammen steht, wie eine Coda. Dabei brodelt es gewaltig darunter, so sehr, dass das eruptiv einbrechende Schlagzeug tatsächlich eine Befreiung ist, die alle Schleusen öffnet. Nachfolgend scheint „Vesper“ erst einmal eine Verschnaufpause zu gönnen, doch auch hier liegt bereits alles in Trümmern, Akustikgitarre und Viola klauben nur noch die Scherben auf. Scherben einer Realität, einer Wahrheit, die zerbrochen ist. An der man sich schneiden kann. So führt auch hier alles dem verbitterten Ende entgegen, „we’re all slaves to the truth“, die Viola hetzt irrsinnig in die Höhe, Gitarre und Rhythmus können kaum folgen, der Status Quo bleibt erhalten, unerlöst.
Wir sind erst im vierten Lied des Albums, doch der zentrale Track steht genau in der Mitte: „Damage“ beginnt lauernd, schwerfällig und trägt doch bereits diese unglaubliche Wucht in sich, die fast das gesamte Lied dominieren wird. Vor diesem einen, kurzen Moment, in dem das Atmen, Luftholen des Sängers hörbar ist, und nachfolgend die ungestüme Brutalität (oder ist es Verzweiflung? Wie so vieles an diesem Album ist auch dieser Augenblick ambivalent) sich Bahn bricht: „I’m gonna bleed my blood, I’m gonna break my bones, I’m gonna break it down, I’m gonna throw some stones“.
Nicht alle Lieder haben mit ihrer manchmal etwas naiven Geradeheraus-Richtung die Zeit so gut überstanden. Und doch wirkt insgesamt das Debüt von Mother Tongue auf mich nicht nur wie das beeindruckende Dokument einer in sich zerrissenen Band, sondern vielmehr wie ein Spiegel der Forderung Camus an den Menschen, der an der Absurdität der schweigenden Welt zu zerbrechen droht: nichts zu beschönen und nicht aufzugeben, sondern den eigentlich unerträglichen Zustand immer und immer wieder auszuhalten.

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