dass sich der künstler gegenüber seinem publikum offenbart, dass er sich häufig genug zur nacktheit zwingt, wir wissen es. dass er seinen abgründen nicht ausweicht, im gegenteil in sie eintaucht, um uns daraus vorzulesen, wir haben es erlebt. dass er manchmal seinen offenbarungszwang, die tägliche notwendigkeit dazu nicht ertragen kann, wir haben es geahnt. während wir uns zur ablenkung zwingen, den inneren dämonen so oft es geht entsagen, konfrontiert sich der künstler, wenigstens möchten wir ihn in aller ernsthaftigkeit so wahrnehmen, mit dem heiklen material seine intimen widrigkeiten. dem einen gelingt das für die zeit einer konzertreise, dem anderen geht zwischendrin der mut, die kraft, die emotion verloren. es wäre das selbstverständlichste.
nun bin ich nicht vertraut mit scout niblett und ihren nöten. doch was sie an diesem mittwoch abend präsentierte, war nach außen gekehrtes unbill. sie trug die tragik offen. man konnte aus ihren gesichtszügen das waidwunde lesen. getroffen war sie bereits, als sie auf die bühne kam. als sie nach nicht einmal einer stunde bereits wieder ging, schien sie auf eine weise besiegt, die ich fast unerträglich fand. ein besonderes ärgernis, sie zu einer zugabe herausgezwungen zu haben. die musik war bereits eingeschaltet, doch ein durstiges publikum verlangte nach mehr von dem rachsüchtigen saft der neugier und des voyerismus. "i am" war da die richtige antwort.
und wenn es nicht genüge wäre, dass sich der künstler nicht wohl in seiner haut fühlt, trieben nebensächlichkeiten ein teuflisches spiel. der verstärker nibletts war im eimer und gab für die dauer des konzerts ein unüberhörbare schnarren von sich. auch in lauteren passagen musste man sich mühe geben, um gnädigerweise das störende nebengeräusch zu ignorieren. dass mehrmals zwischenrufe aus dem publikum kamen im sinne von "anlage abschalten!", tat da sein übriges. danke an den rückrufer: "ansage abschalten!" war sein treffender kommentar. scout niblett ergänzte, dass es sich doch um einen coolen umstand handle und sie schließliche eine noiseband wären und grinste dabei verlegen. ihre anfragen nach wünschen gleich zu beginn des konzerts blieben zudem fast gänzlich unbeantwortet, jemanden fiel noch "kiss" ein, dann erbat sie sich fragen, mehrmals, auch hier keine reaktion aus dem publikum. das waren mehr als missliche ausgangspositionen.
nach zwei solonummern kamen jeweils kurz aufeinander drummer jan phillip janzen und der auf dauer breit kaugummi kauende miguel ortiz caturani auf die bühne, um dem vortrag etwas mehr 'bumms' zu verleihen. die schießbude war derart auf knalleffekt eingestellt, dass sie sich mehr als befeuernd in den dienst der 1973 geborenen emma louise stellte, mehr denn zu einem ganz paritätischen element des vortrags wurde. trommelwirbel, die pausen füllten, eurptives, manisches. gelungen in jedem fall. auch das zusätzliche gitarrespiel war ein willkommener gruß an lautstärke und kraftvollerem vorwärts.
doch am ende blieb immer scout. ihr züngelnder gesang in den leisen, ihr maß nehmen in den lauteren, in den lauten passagen. ihr schreien ist dabei ein nie vollendetes, als wage sie nicht den weg zu ende zu gehen.
ihre kunstfertigkeit an der gitarre, dieses gezielte spiel, um stimmungen zu belegen, sich ein begleitensemble zu kreieren. seltener kannst du erleben, wie töne zahm sich fügen, um der gesungenen note zu folgen. ein einträgliches buchstabieren. vorbeten, nachtun. es ist eine ordnung, die der künstlerin halt verleiht. und so folgte die zuschauerschar im gut gefüllten strom einem immer wieder gleichen muster. einem zögerlichen beginn, in dem die instrumente pferden gleich mit den hufen scharren, folgt der ausbruch und die entladung. die gitarren fetzen und erhalten durch die schwere der schlagzeugwucht ihre energetische bestätigung. songs aus dem neuen album "it's up to emma" changierten dabei zwischen der fragilität angelehnten gesangs und dem punch eines organischen krawallschlages.
eine verlorene liebe, und du kannst sie zeile für zeile buchstabieren, ist eine verlorene liebe. und wovon sollten wir sonst zehren, wenn nicht vom schmerz, der uns an uns bindet. und wovon sollten wir sonst erzählen, wenn nicht vom geschlagen sein. und was ist unsere größte triebfeder, wenn wir nach ausdruck suchen. der schmerz. er hinterlässt spuren. wie die strähnigen haare im gesicht. wie die ausgezerrten züge, die licht entsagenden falten, das falsche schmunzeln, die tränennassen augen. "could this possibly be?" wird zum stärksten und bewegendsten stück, weil die sezierten elemente ihren ganz eigenen reigen um diese unbeantwortete frage tanzen.
es war ein abend, der von einem magengrimmen begleitet war. ja, man möchte teilhaben an der kunst des ausdrucks. auch um seines schmerzen willen. aber soll es auch eine kunst sein, an der man zerbricht. derentwegen man in die knie geht, weil sie als mittler vielleicht nicht mehr taugt? der umsorgenden hege des blues ist scout längst entstiegen, im blinden treugesang des metals ist sie längst heimatlos. die eigene melange aus wütender ruppigkeit und blinder, kindlicher folgsamkeit wird zum störfeuer, das das schiff nicht in den heimatlichen hafen der geborgenheit führt.
man wollte sie in den arm nehmen und trösten. doch war sie längst über alle bergen, den rucksack geschultert, in dem sie wohl all das mit sich führt, was sie längst abgeworfen haben sollte.
scout niblett - gun
8 Kommentare:
in der tat, ein konzert mit ecken und kanten, wie man es in der form selten erlebt. ein blick in seelische abgründe. wem würde hier nicht spontan polly jean harvey in ihrer frühphase einfallen? man meint, man hat eine andere person vor sich, wenn man die gute emma nach dem konzert vor der tür trifft und sie mit einem scheuen lächeln ihre britische höflichkeit walten lässt.
viele grüße,
gerhard
ach, ich habs mir fast gedacht, dass du auch zugegen warst...
E., danke für den Bericht. Du kannst gern ein Video verlinken, wennst magst, aus der HH-Serie. Gern lade ich auch ein zwei Stücke hoch aus dem Strom. Da hört man dann das Brumme und sieht das Kaugummi, oder irgendwann auch das Papier in den Ohren des Drummers, der statt sich ausreichend, die anderen Künstler so laut hörte, dass seine Ohren Schaden zu nehmen riskierten...
Wenn mal was schief läuft, dann so richtig: Zu allem Überfluss, Van war so geparkt, dass "eingekettet" und am kommenden Morgen fast noch abgeschleppt wurde. Bleibt zu hoffen, dass es bessere Umstände und Stimmungen (ich muss sagen, ich war über die Geduld und Ruhe des Publikums erstaunt, die Künstlerin und den Auftritt "trotz allem" honorierend) sind, die die Truppe seit gestern, Wien, begleiten.
Die beiden Konzerte, die ich hörte, werden mir auf äußerst unterschiedliche Art wohl sehr lange präsent bleiben.
Hamburg war musikalisch, klanglich und stimmungstechnisch einfach wunderbar!
Bei der Zugabe bin ich mir nicht sicher. War das nicht "It's Time My Beloved"? Oder heißt der Titel nur "My Beloved"?
Lieben Gruß,
Sophie
p.s. eine, wie ich finde, gute Kritik zu Scout Niblett und ihrem neuen Album hier:
http://www.br.de/radio/bayern2/sendungen/kulturwelt/its-up-to-emma-von-scout-niblett-100.html
vielen dank für deine eindrücke, sophie.
auch für die korrekturen bzw. hinweise. ich geh dem noch einmal nach.
ok, dann ergänze ich auch mal:
http://dasklienicum.blogspot.de/2013/05/neue-tone-1276-scout-niblett.html
Also ich war am Sonntag zuvor auf ihrem bezaubernden Konzert in Köln. Dort hatten Scout und ihre Kollegen sichtbar Spaß auf der Bühne. Auf ihrer Tumblr-Seite hat sie eine dort aufgenommene Version von Nevada verlinkt. http://scoutniblett.tumblr.com/
Es ist schwer nachzuvollziehen, dass sie binnen zwei Tagen vom Gipfel in ein Loch gefallen sein sollen.
Der kaputte Amp ist sicherlich eine Belastung, die auch aufs Gemüt schlagen kann. Die Tour ist gerade erst im Mitteldrittel und adäquaten Ersatz für so einen alten Röhrenverstärker schneidet man sich auch nicht aus den Rippen.
Auf folgender Seite erzählt sie etwas von ihrem Equipment:
http://scout.niblett.usesthis.com/
Künstler sind doch meist selbst ihre härtesten Kritiker, selbst wenn sie nicht dem Perfektionismus huldigen, wollen sie doch ihr Werk im besten Klang präsentieren, zumal mit einem solchen wundervollen Album im Gepäck.
beste Grüße
Uwe
danke für deine anmerkungen, die ich gut nachvollziehen, aber eben nicht teilen kann.
ich glaube sehr wohl, dass man innerhalb von zwei tagen durch alle möglichen gefühlstäler gehen kann. der auftritt war leider nur in maßen geniessbar, auch wenn man wie ich das aktuelle album sehr schätzt.
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