Montag, September 09, 2013

ins archiv geschaut (2): angela aux (interview)

diese neue rubrik soll zum einen den hinweis darauf geben, dass wir uns immer alle nur im kreise drehen, denn alles war und wird wieder sein, und soll zum zweiten an einige posts in diesem blog erinnern, die einen nachhall im heute haben oder nur den schreiber selbst im sentiment belasten. das behagen darum kann sich eventuell auf beiden seiten, der des lesers und der des produzenten, (wieder) einstellen.

29. januar 2011


es blieben ein paar fragen offen, nachdem wir das album "whatever you guess it's not" von angela aux unter die lupe genommen hatten. den ausführlichen text dazu findet Ihr hier, nachfolgend nun das interview, welches uns der mann hinter angela aux, wir bringen etwas licht ins dunkel seiner anonymität, bereitwillig, in aller ausführlichkeit und auf sehr intelligente weise gewährte. viel spaß!

das klienicum: mit einem klarnamen, also deinem richtigen vor- und zunamen bist du nur schwer greifbar, was? heiner hendrix, heiner seits, florian irgendwas, es gibt einige rufmöglichkeiten, um deine aufmerksamkeit zu erhalten, warum nicht jene, die einst auch deine mutter verwandte? womit sich anonymisierung in unserer zeit begründen lässt, steht außer frage, aber ist sie überhaupt noch möglich (so sie denn gewollt ist)? was ist deine intention?

angela aux: es macht sinn zu unterscheiden zwischen dem wirklichen namen und einem pseudonym, das man notfalls auch wieder ablegen kann. man nimmt ja in texten/songs viele verschiedene perspektiven ein. sofern man nur davon singt, wie schön der sommer ist, gibts kein problem, aber vor allem in kurzgeschichten vertritt man teils positionen, die womöglich mit der wirklichen person gar nicht vereinbar sind. dann isses doof damit immer in verbindung gebracht zu werden, find ich. und meine rufnamen in meiner familie und im freundeskreis sind eben diesen vorbehalten, das ist ja auch was sehr persönliches.

das klienicum: kannst du einen kurzen abriss der wichtigsten meilensteine in sachen bands/combos und verschwörungen aufzeigen, in denen du aktiv bist/warst?

angela aux: "sportsfreund" - hiphop-crew mit meinem lieblings-dj soulsepp, von 13-15; "jims couch" - so deutsch/englischer psychrockfolkirgendwas u.a. mit sami halicic von l'egojazz und dem lichttechniker von labrassbanda; "l'egojazz" - elektrokrautfunkhop ♥; "futurehausen" - freakhop mit franz spencer (l'egojazz); "schmiede hallein" - 150 kulturschaffende/produzenten treffen sich 10 tage in hallein bei salzburg, arbeiten, tauschen sich aus, bilden sich gegenseitig, eine der besten sachen der welt, hat mein leben verändert!! momentan läuft übrigens auch grad wieder die bewerbungsfrist dafür; "panama plus" - kulturhappening mit musik, film, fotos und skulpturen etc., zum ersten mal 2007 im feierwerk, dann in wechselnden locations; "der greif" - magazin für fotografie und literatur mit fantastischer entwicklung und ziemlich abgefahrenen perspektiven; "kompostmoderne neuordnung des universums" - mit dem luxemburger tausendsassa luc spada, eine mischung aus lesung, musik und totaler überforderung; "rationalversammlung" - lesung mit herz und hirn, monatlich im rationaltheater, münchen.

das klienicum: wenn ich es richtig erlesen habe, ist die musik (noch) nicht deine ausschließliche profession. was tust du sonst noch so, um den tag rumzukriegen? und: ist es dein ziel, mal nur musiker sein zu dürfen?

angela aux: arbeiten in einer webagentur, das ist sehr hilf- und lehrreich. hat mir mehr fürs studium gebracht als umgekehrt, zumindest in sachen professionalität. "der greif" wird immer arbeitsintensiver, wohl auch in zukunft. ob ich NUR musik machen wollen würde, weiß ich gar nicht, ich finds ganz gut da entspannt herangehen zu können. andererseits sind bis auf weiteres angela aux und l'egojazz nicht wegzudenken aus meinem leben.

das klienicum: du bist aus dem chiemgau, richtig? auf dem land findet musikalische frühförderung doch eher in blaskapellen usw. statt. war das bei dir auch so?

angela aux: meine frühforderung fand in meiner familie und in der schule statt, meine mam hat mir zweistimmig singen eingeimpft, mein opa war mein gitarrenlehrer. in der 3/4. klasse hat unser lehrer herr heiß die meiste zeit darauf verwendet, mit uns theater zu spielen und so miniorchestersachen zu spielen. das hat mich sehr geprägt. am gymnasium dann die musiklehrer. und später diverse chiemgauer bands: happy donnaboikn, bradley's h. ich bin vor der ganzen ländlichen "togetherness" immer geflohen, erst der fußballverein hat mich da irgendwie mit rein gezogen, aber da musst ich auch regelmäßig ausbrechen.

das klienicum: wie hast du den sprung zu einer etwas "ernsthafteren" auseinandersetzung mit dem medium musik geschafft? was hat dir dabei geholfen?

angela aux: ich hab mich schon immer für die tragischen seiten am leben interessiert. musik hatte dadurch auch immer was pädagogisches, sowohl aus der persepektive des machens, als auch im hören. musik oder literatur ohne hintergelagerten sinn interessiert mich nicht, gewissermaßen halt ich das sogar für latent gefährlich. ich denke kunst verarbeitet zeit, künstler sorgen so für eine ästhetische alternative zu sozialwissenschaft oder geschichtsschreibung, zb über zugänge zu themen. die aufgabe von kunst ist nicht unterhaltung, auch wenns einem oft so vorkommen könnte. der text in musik ist für mich darum sehr wichtig. aber das heißt nicht, dass man das alles nicht auch ganz anders sehen kann.

das klienicum: wie zeigt sich münchen einem jungen musikanten? gibt es beständige netzwerke, zu denen man zugang erhalten kann oder bleibt man eher länger einzelkämpfer?

angela aux: ich denke momentan ist münchen ein ganz dankbares pflaster, aber es kommt auch drauf an ob man einfach nur schnell "durchstarten" will oder bereit ist die szene, die man sich wünscht, selbst auch mitzugestalten. ich seh im moment viele musiker, medien und veranstalter, die sich sehr viel mühe geben und auf humane art miteinander umgehen. darum fühl ich mich auch ziemlich wohl hier. aber das hat auch ein paar jahre gedauert...

das klienicum: welche veröffentlichungsstrategien hast du verfolgt, wie kam es zur zusammenarbeit mit red can records?

angela aux: wir haben ja schon mit l'egojazz mit red can zusammengearbeitet, ich stehe sehr auf die ästhetik und auf das persönliche. die zusammenarbeit hat also eigentlich fast freundschaftliche gründe, ich schätze die arbeit von senor burns und er findets wohl auch nicht so schlecht was ich so mach ;-).

das klienicum: welchen wert hat die veröffentlichung als endgültige fixierung eines musikalischen konzepts für dich (wenn man die diversität deiner produkte betrachtet, die wie collagen wirken, die man immer wieder neu zusammenstellen muss, die in gewisser weise nur für den einen moment bestand zu haben scheinen)? oder sind sie gar nicht so lichte und in der konzeption viel solider?

angela aux: mir war die ganze "release"-sache bislang eigentlich immer suspekt, ich hab drum auch die ersten beiden releases über die netlabels laridae und kinokoma gemacht. aber irgendwie stehen journalisten auf materielle releases, die aufmerksamkeit überrrascht mich grad ein wenig, viele sachen standen ja schon offen irgendwo im netz. grundsätzlich produzier ich einfach gern so vor mich hin, da will ich dann auch oft nicht warten und aktuelle arbeiten einfach sofort herzeigen. was du freie oder lichte konzeption nennst, versteh ich eigentlich als konzept, die releases haben ja metathemen, die ziehen sich ziemlich konsequent durch die releases, aber das führt halt nicht dazu, 12 ähnliche songs zu machen, das find ich nämlich ziemlich affig.

das klienicum: du bist nicht auf stile festgelegt, in welcher tradition siehst du dich, gibt es musikalische referenzen?

angela aux: ich hab mich schon durch einige musikrichtungen durchgegraben, man hört das ja auch irgendwie find ich. ich seh das musikmachen oder auch schreiben eher als einen ästhetischen forschungsprozess, das klingt ein wenig verkopft oder bekloppt, aber so geh ich an die sachen heran, eher weil mich irgendwas fasziniert, an dem ich dann rumspinnen will. ich seh mich nicht so als produzent von produkten. aber ich find viele leute haben in vielen bereichen so gearbeitet, die meisten kenn ich höchstwahrscheinlich nicht. musikalisch hat mich beck sehr fasziniert, auch radiohead, die ganze anticon-crew, aber vor allem auch bands wie can, neu!, faust, harmonia, kraftwerk. ich seh mich auch irgendwie in dieser krauttradition, über diesen eher experimentellen approach.

das klienicum: wie lange hast du an "whatever you guess it's not" gearbeitet? wie muss man sich den schaffensprozess vorstellen? was keimt zuerst, melodie, textbausteine, der zugriff auf ein sample als idee...?

angela aux: arbeitstitel des albums war "munich tape set", die songs sind alle in meiner münchner zeit entstanden, aber an viele verschiedenen orten bearbeitet worden. der älteste song ist von 2007, der jüngste dezember 2010. der schaffensprozess ist immer unterschiedlich, oft verschmelzen an irgendeinem punkt texte und musik, die unabhängig voneinander entwickelt wurden, manchmal schreibt man einen song aus einem guss in 30min.

das klienicum: das neue album erscheint mir songorientierter, weniger abhängig von soundfinessen, ist diese beobachtung richtig?

angela aux: die soundqualität ist natürlich nicht oberdeluxe, das liegt auch ein wenig daran, dass ich alles in meinem schlafzimmer aufgenommen hab. die beobachtung ist aber richtig, mich interessiert die geschichte oder idee eines songs viel mehr als tontechnische details. auf dem aktuellen album wollte ich literarisch oder cinematisch arbeiten, also über soundschnipsel und psychoakustische versatzstücke die geschichte oder stimmung der songs zugänglicher machen.

das klienicum: wenn du deine musikalische entwicklung so anschaust, ist für dich eine art reifung erkennbar? woran könnte man sie festmachen und wie gestaltet sich das etwa in der zukunft? ich hab so was wie reduktion im sinn, also "weniger ist mehr", oder so. wie der maler, der mit immer weniger strichen immer mehr auszudrücken weiß. ist das denkbar?

angela aux: a propos entwicklung: in meinem ersten pressetext stand "wenn angela aux groß ist, möchte er ein kind bleiben". die experimentelle herangehensweise reduziert ja ein geräusch teils auf sich selbst (zb auf der "common space incidents"), auch auf der aktuellen platte wurde mir schon vorgeworfen, ich könnte eben nur immer eine strophe und eine gesangline schreiben, aber dann nicht mehr, was ja auch ein wenig am eigentlichen ziel vorbei ist. grundsätzlich glaub ich aber nicht, dass reduktion immer eine weiterentwicklung ist, das kann auch einfach ein anzeichen für fantasielosigkeit sein. ich glaub schon, dass das mal stärker kommen kann, aber momentan drückt sich das dann eher in projekten aus, ich werd in den nächsten monaten hoffentlich sowas wie folk-tech machen, da hab ich schon ewig lust darauf. und es wird ein album geben mit vertonten texten, so bisschen wie im stil von "outcome" auf "common space incidents". vielleicht auch gern mal einfach nur ganz stinknormale folksongs nachm schema f, hat ja auch was! aber eine selbstreferenzielle "weiterentwicklung" im sinne eines "ich kann mit einem handgriff alles aussagen" - kann ich mir grad nich sooo vorstellen.

das klienicum: erwägst du eine politische dimension in deinen songs? oder muss man bspw. die aussage, dass man nicht nur um sich selbst kreisen sollte, als rein persönliches statement verstehen?

angela aux: wenn man unterscheidet zwischen politik und politischem, dann ist meine musik schon politisch, aber nicht so als selbstzweck. aber ich verarbeite in meiner musik natürlich themen, die mich beschäftigen, das hat also oft so reflektive oder kritische momente. der eigentliche zweck davon in meinen augen ist, den hörer irgendwie über das thema zum nachdenken zu bringen, das ist alles was kunst kann. so ist das auch wieder politisch, weils auf der persönlichen ebene stattfindet und das ist die sinnvollste herangehensweise in meinen augen.

das klienicum: wie und wo und wann nimmst du (neue) musik auf? was inspiriert dich dabei?

angela aux: in meinem zimmer oder bei bekannten in deren zimmerstudios. inspirierend dafür kann alles mögliche sein, das klingt ein wenig abgedroschen, aber das eigene leben, die kleinen erlebnisse jeden tag sind eigentlich am inspirativsten.

das klienicum: wie schauen deine pläne für die zukunft aus?

angela aux: hm. studium abschließen. musik machen, schreiben. projekte mit "dem greif" durchziehen. spanisch lernen! und bisschen um die welt gurken, denn ich würd ganz gern mit 30 papa werden.

das klienicum: man liest das wirklich gern: deine liebsten platten, fünfe, deine liebsten bücher, vier, deine schönsten erlebnisse (angerissen), dreie, deine lieblingsplätze in münchen, zwei, dein lieblingsbier, eins.

angela aux: das mit den platten und büchern ist immer sauhart weil häufig wechselnd. momentan wärs wohl: platten: animal collective - sung tongues / holy fuck - latin america / faust - faust IV / four tet - there is love in you / caribou - milk of human kindness; bücher: jörg fauser - rohstoff / rainald goetz - dekonspiratione / colin crouch - postdemokratie / bommy baumann - rausch und terror; die wirklich schönsten erlebnisse wären zu privat. aber die schönsten musikerlebnisse in der letzten zeit waren die startrampe-zeit mit l'egojazz, v.a. der videodreh, das panama plus 2010 und zuletzt die kurztour mit joasihno, das war auch richtig entspannt; lieblingsplätze in münchen: isar, import/export. ich bin nicht grad der große biertrinker. aber mir fällt ein dass mein erstes selbstgekauftes bier bölkstoff war. so mit 9 glaub ich, am kinderspielplatz dann runtergewürgt. war großartig ;-)

das klienicum: vielen dank!

"whatever you guess it's not" erscheint am heutigen 29. april über das münchener label red can records.
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mit "sleep well folk" wird angela aux dieser tage nachziehen. das album erscheint am 09. september via international bohemia.

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