diese neue rubrik soll zum einen den hinweis darauf geben, dass wir
uns immer alle nur im kreise drehen, denn alles war und wird wieder
sein, und soll zum zweiten an einige posts in diesem blog erinnern, die
einen nachhall im heute haben oder nur den schreiber selbst im sentiment
belasten. das behagen darum kann sich eventuell auf beiden seiten, der
des lesers und der des produzenten, (wieder) einstellen.
29. januar 2011
es blieben ein paar fragen offen, nachdem wir das album "whatever you guess it's not" von
angela aux unter die lupe genommen hatten. den ausführlichen text dazu findet Ihr
hier,
nachfolgend nun das interview, welches uns der mann hinter angela aux,
wir bringen etwas licht ins dunkel seiner anonymität, bereitwillig, in
aller ausführlichkeit und auf sehr intelligente weise gewährte. viel
spaß!
das klienicum:
mit einem klarnamen, also deinem richtigen vor- und zunamen bist du nur
schwer greifbar, was? heiner hendrix, heiner seits, florian irgendwas,
es gibt einige rufmöglichkeiten, um deine aufmerksamkeit zu erhalten,
warum nicht jene, die einst auch deine mutter verwandte? womit sich
anonymisierung in unserer zeit begründen lässt, steht außer frage, aber
ist sie überhaupt noch möglich (so sie denn gewollt ist)? was ist deine
intention?
angela aux:
es macht sinn zu unterscheiden zwischen dem wirklichen namen und einem
pseudonym, das man notfalls auch wieder ablegen kann. man nimmt ja in
texten/songs viele verschiedene perspektiven ein. sofern man nur davon
singt, wie schön der sommer ist, gibts kein problem, aber vor allem in
kurzgeschichten vertritt man teils positionen, die womöglich mit der
wirklichen person gar nicht vereinbar sind. dann isses doof damit immer
in verbindung gebracht zu werden, find ich. und meine rufnamen in meiner
familie und im freundeskreis sind eben diesen vorbehalten, das ist ja
auch was sehr persönliches.
das klienicum:
kannst du einen kurzen abriss der wichtigsten meilensteine in sachen
bands/combos und verschwörungen aufzeigen, in denen du aktiv bist/warst?
angela aux:
"sportsfreund" - hiphop-crew mit meinem lieblings-dj soulsepp, von
13-15; "jims couch" - so deutsch/englischer psychrockfolkirgendwas u.a.
mit sami halicic von l'egojazz und dem lichttechniker von labrassbanda;
"l'egojazz" - elektrokrautfunkhop ♥; "futurehausen" - freakhop mit
franz spencer (l'egojazz); "schmiede hallein" - 150
kulturschaffende/produzenten treffen sich 10 tage in hallein bei
salzburg, arbeiten, tauschen sich aus, bilden sich gegenseitig, eine der
besten sachen der welt, hat mein leben verändert!! momentan läuft
übrigens auch grad wieder die bewerbungsfrist dafür; "panama plus" -
kulturhappening mit musik, film, fotos und skulpturen etc., zum ersten
mal 2007 im feierwerk, dann in wechselnden locations; "der greif" -
magazin für fotografie und literatur mit fantastischer entwicklung und
ziemlich abgefahrenen perspektiven; "kompostmoderne neuordnung des
universums" - mit dem luxemburger tausendsassa luc spada, eine mischung
aus lesung, musik und totaler überforderung; "rationalversammlung" -
lesung mit herz und hirn, monatlich im rationaltheater, münchen.
das klienicum:
wenn ich es richtig erlesen habe, ist die musik (noch) nicht deine
ausschließliche profession. was tust du sonst noch so, um den tag
rumzukriegen? und: ist es dein ziel, mal nur musiker sein zu dürfen?
angela aux:
arbeiten in einer webagentur, das ist sehr hilf- und lehrreich. hat mir
mehr fürs studium gebracht als umgekehrt, zumindest in sachen
professionalität. "der greif" wird immer arbeitsintensiver, wohl auch in
zukunft. ob ich NUR musik machen wollen würde, weiß ich gar nicht, ich
finds ganz gut da entspannt herangehen zu können. andererseits sind bis
auf weiteres angela aux und l'egojazz nicht wegzudenken aus meinem
leben.
das klienicum:
du bist aus dem chiemgau, richtig? auf dem land findet musikalische
frühförderung doch eher in blaskapellen usw. statt. war das bei dir auch
so?
angela aux:
meine frühforderung fand in meiner familie und in der schule statt,
meine mam hat mir zweistimmig singen eingeimpft, mein opa war mein
gitarrenlehrer. in der 3/4. klasse hat unser lehrer herr heiß die meiste
zeit darauf verwendet, mit uns theater zu spielen und so
miniorchestersachen zu spielen. das hat mich sehr geprägt. am gymnasium
dann die musiklehrer. und später diverse chiemgauer bands: happy
donnaboikn, bradley's h. ich bin vor der ganzen ländlichen
"togetherness" immer geflohen, erst der fußballverein hat mich da
irgendwie mit rein gezogen, aber da musst ich auch regelmäßig
ausbrechen.
das klienicum:
wie hast du den sprung zu einer etwas "ernsthafteren"
auseinandersetzung mit dem medium musik geschafft? was hat dir dabei
geholfen?
angela aux:
ich hab mich schon immer für die tragischen seiten am leben
interessiert. musik hatte dadurch auch immer was pädagogisches, sowohl
aus der persepektive des machens, als auch im hören. musik oder
literatur ohne hintergelagerten sinn interessiert mich nicht,
gewissermaßen halt ich das sogar für latent gefährlich. ich denke kunst
verarbeitet zeit, künstler sorgen so für eine ästhetische alternative zu
sozialwissenschaft oder geschichtsschreibung, zb über zugänge zu
themen. die aufgabe von kunst ist nicht unterhaltung, auch wenns einem
oft so vorkommen könnte. der text in musik ist für mich darum sehr
wichtig. aber das heißt nicht, dass man das alles nicht auch ganz anders
sehen kann.
das klienicum:
wie zeigt sich münchen einem jungen musikanten? gibt es beständige
netzwerke, zu denen man zugang erhalten kann oder bleibt man eher länger
einzelkämpfer?
angela aux:
ich denke momentan ist münchen ein ganz dankbares pflaster, aber es
kommt auch drauf an ob man einfach nur schnell "durchstarten" will oder
bereit ist die szene, die man sich wünscht, selbst auch mitzugestalten.
ich seh im moment viele musiker, medien und veranstalter, die sich sehr
viel mühe geben und auf humane art miteinander umgehen. darum fühl ich
mich auch ziemlich wohl hier. aber das hat auch ein paar jahre
gedauert...
das klienicum: welche veröffentlichungsstrategien hast du verfolgt, wie kam es zur zusammenarbeit mit
red can records?
angela aux:
wir haben ja schon mit l'egojazz mit red can zusammengearbeitet, ich
stehe sehr auf die ästhetik und auf das persönliche. die zusammenarbeit
hat also eigentlich fast freundschaftliche gründe, ich schätze die
arbeit von senor burns und er findets wohl auch nicht so schlecht was
ich so mach ;-).
das klienicum:
welchen wert hat die veröffentlichung als endgültige fixierung eines
musikalischen konzepts für dich (wenn man die diversität deiner produkte
betrachtet, die wie collagen wirken, die man immer wieder neu
zusammenstellen muss, die in gewisser weise nur für den einen moment
bestand zu haben scheinen)? oder sind sie gar nicht so lichte und in der
konzeption viel solider?
angela aux:
mir war die ganze "release"-sache bislang eigentlich immer suspekt, ich
hab drum auch die ersten beiden releases über die netlabels laridae und
kinokoma gemacht. aber irgendwie stehen journalisten auf materielle
releases, die aufmerksamkeit überrrascht mich grad ein wenig, viele
sachen standen ja schon offen irgendwo im netz. grundsätzlich produzier
ich einfach gern so vor mich hin, da will ich dann auch oft nicht warten
und aktuelle arbeiten einfach sofort herzeigen. was du freie oder
lichte konzeption nennst, versteh ich eigentlich als konzept, die
releases haben ja metathemen, die ziehen sich ziemlich konsequent durch
die releases, aber das führt halt nicht dazu, 12 ähnliche songs zu
machen, das find ich nämlich ziemlich affig.
das klienicum: du bist nicht auf stile festgelegt, in welcher tradition siehst du dich, gibt es musikalische referenzen?
angela aux:
ich hab mich schon durch einige musikrichtungen durchgegraben, man hört
das ja auch irgendwie find ich. ich seh das musikmachen oder auch
schreiben eher als einen ästhetischen forschungsprozess, das klingt ein
wenig verkopft oder bekloppt, aber so geh ich an die sachen heran, eher
weil mich irgendwas fasziniert, an dem ich dann rumspinnen will. ich seh
mich nicht so als produzent von produkten. aber ich find viele leute
haben in vielen bereichen so gearbeitet, die meisten kenn ich
höchstwahrscheinlich nicht. musikalisch hat mich beck sehr fasziniert,
auch radiohead, die ganze anticon-crew, aber vor allem auch bands wie
can, neu!, faust, harmonia, kraftwerk. ich seh mich auch irgendwie in
dieser krauttradition, über diesen eher experimentellen approach.
das klienicum:
wie lange hast du an "whatever you guess it's not" gearbeitet? wie muss
man sich den schaffensprozess vorstellen? was keimt zuerst, melodie,
textbausteine, der zugriff auf ein sample als idee...?
angela aux:
arbeitstitel des albums war "munich tape set", die songs sind alle in
meiner münchner zeit entstanden, aber an viele verschiedenen orten
bearbeitet worden. der älteste song ist von 2007, der jüngste dezember
2010. der schaffensprozess ist immer unterschiedlich, oft verschmelzen
an irgendeinem punkt texte und musik, die unabhängig voneinander
entwickelt wurden, manchmal schreibt man einen song aus einem guss in
30min.
das klienicum: das neue album erscheint mir songorientierter, weniger abhängig von soundfinessen, ist diese beobachtung richtig?
angela aux:
die soundqualität ist natürlich nicht oberdeluxe, das liegt auch ein
wenig daran, dass ich alles in meinem schlafzimmer aufgenommen hab. die
beobachtung ist aber richtig, mich interessiert die geschichte oder idee
eines songs viel mehr als tontechnische details. auf dem aktuellen
album wollte ich literarisch oder cinematisch arbeiten, also über
soundschnipsel und psychoakustische versatzstücke die geschichte oder
stimmung der songs zugänglicher machen.
das klienicum:
wenn du deine musikalische entwicklung so anschaust, ist für dich eine
art reifung erkennbar? woran könnte man sie festmachen und wie gestaltet
sich das etwa in der zukunft? ich hab so was wie reduktion im sinn,
also "weniger ist mehr", oder so. wie der maler, der mit immer weniger
strichen immer mehr auszudrücken weiß. ist das denkbar?
angela aux:
a propos entwicklung: in meinem ersten pressetext stand "wenn angela
aux groß ist, möchte er ein kind bleiben". die experimentelle
herangehensweise reduziert ja ein geräusch teils auf sich selbst (zb auf
der "common space incidents"), auch auf der aktuellen platte wurde mir
schon vorgeworfen, ich könnte eben nur immer eine strophe und eine
gesangline schreiben, aber dann nicht mehr, was ja auch ein wenig am
eigentlichen ziel vorbei ist. grundsätzlich glaub ich aber nicht, dass
reduktion immer eine weiterentwicklung ist, das kann auch einfach ein
anzeichen für fantasielosigkeit sein. ich glaub schon, dass das mal
stärker kommen kann, aber momentan drückt sich das dann eher in
projekten aus, ich werd in den nächsten monaten hoffentlich sowas wie
folk-tech machen, da hab ich schon ewig lust darauf. und es wird ein
album geben mit vertonten texten, so bisschen wie im stil von "outcome"
auf "common space incidents". vielleicht auch gern mal einfach nur ganz
stinknormale folksongs nachm schema f, hat ja auch was! aber eine
selbstreferenzielle "weiterentwicklung" im sinne eines "ich kann mit
einem handgriff alles aussagen" - kann ich mir grad nich sooo
vorstellen.
das klienicum:
erwägst du eine politische dimension in deinen songs? oder muss man
bspw. die aussage, dass man nicht nur um sich selbst kreisen sollte, als
rein persönliches statement verstehen?
angela aux:
wenn man unterscheidet zwischen politik und politischem, dann ist meine
musik schon politisch, aber nicht so als selbstzweck. aber ich
verarbeite in meiner musik natürlich themen, die mich beschäftigen, das
hat also oft so reflektive oder kritische momente. der eigentliche zweck
davon in meinen augen ist, den hörer irgendwie über das thema zum
nachdenken zu bringen, das ist alles was kunst kann. so ist das auch
wieder politisch, weils auf der persönlichen ebene stattfindet und das
ist die sinnvollste herangehensweise in meinen augen.
das klienicum: wie und wo und wann nimmst du (neue) musik auf? was inspiriert dich dabei?
angela aux:
in meinem zimmer oder bei bekannten in deren zimmerstudios.
inspirierend dafür kann alles mögliche sein, das klingt ein wenig
abgedroschen, aber das eigene leben, die kleinen erlebnisse jeden tag
sind eigentlich am inspirativsten.
das klienicum: wie schauen deine pläne für die zukunft aus?
angela aux:
hm. studium abschließen. musik machen, schreiben. projekte mit "dem
greif" durchziehen. spanisch lernen! und bisschen um die welt gurken,
denn ich würd ganz gern mit 30 papa werden.
das klienicum:
man liest das wirklich gern: deine liebsten platten, fünfe, deine
liebsten bücher, vier, deine schönsten erlebnisse (angerissen), dreie,
deine lieblingsplätze in münchen, zwei, dein lieblingsbier, eins.
angela aux:
das mit den platten und büchern ist immer sauhart weil häufig
wechselnd. momentan wärs wohl: platten: animal collective - sung tongues
/ holy fuck - latin america / faust - faust IV / four tet - there is
love in you / caribou - milk of human kindness; bücher: jörg fauser -
rohstoff / rainald goetz - dekonspiratione / colin crouch -
postdemokratie / bommy baumann - rausch und terror; die wirklich
schönsten erlebnisse wären zu privat. aber die schönsten musikerlebnisse
in der letzten zeit waren die startrampe-zeit mit l'egojazz, v.a. der
videodreh, das panama plus 2010 und zuletzt die kurztour mit joasihno,
das war auch richtig entspannt; lieblingsplätze in münchen: isar,
import/export. ich bin nicht grad der große biertrinker. aber mir fällt
ein dass mein erstes selbstgekauftes bier bölkstoff war. so mit 9 glaub
ich, am kinderspielplatz dann runtergewürgt. war großartig ;-)
das klienicum: vielen dank!
"whatever you guess it's not" erscheint am heutigen 29. april über das münchener label red can records.
__________
mit "sleep well folk" wird angela aux dieser tage nachziehen. das album erscheint am 09. september via
international bohemia.