vielleicht waren es die besten tage. als carla bozulich ihre zeit mit ethyl meatplow verbrachte. anfang der neunziger, als alles möglich und vieles bereits entschieden war. vielleicht war es die eigene jugend oder die jugend der anderen, die gekonnte unaufmerksamkeit des publikums, die blasierte ignoranz, die man selbst zur schau trug. vielleicht koalierte genau dies. mit einer musik, die das zu verwesen drohende aufs tableau hob und so lange auf das tote fleisch einhieb, bis es in seiner rhythmischen bewegung, im auf und ab wieder lebendig erschien. die outsider, die damals noch outsider waren, goutierten das unterfangen wohl am euphorischten. doch es ist nicht dieses gefühl, wonach sich carla bozulich dieser tage zurücksehnt. es ist vielmehr eine rückschau, eine reflexion, ein offenherziger wie wehmutsfreier blick auf vergangene tage. nach ethyl meatplow kamen geraldine fibbers, scarnella, red headed stranger, evangelista, alben unter eigenem namen. wie das nun vorliegende "boy".
vom erstellen des albumcovers über das schreiben der songs bis hin zum einspielen der einzelnen instrumente zeichnete carla bozulich für den großteil der aufgaben verantwortlich. mit john eichenseer hatte sie eine altbekannte stütze, ergänzt hin und wieder um den drummer andrea belfi. als duo aber bereisten sie sowohl europa als auch nord- und südamerika sowie indien und machten erfahrungen, die man nur auf solch abenteuerlich ausgerichteten unternehmungen tätigt. nebenher setzte carla bozulich ihre erfahrungen in sprache und musikalische anstriche um, die später zu den aufnahmen von "boy" führen sollten.
ausbruchgestärkt, die karriere zeichnete selten karikaturen, sprechgesangt sich carla durch die brüchige soundkaskade. aus dem off ein stützender gefährte. gezielt forciertes drumming, kakophones pianoflimmern zerfetzen sich mit stimmakrobatik. auf den ersten blick hölzernes, auf den zweiten diebisch gut ausgelotetes klangabenteuer.
carla züngelt weder bitte noch billige erinnerung, sie bellt befehle, mahnungen, versätze aus träumen und zu ängsten geratenen hoffnungen. blechern marschiert die akustikarmee aus der etappe in die front. und die mutige straffheit der energischen protagonistin gerinnt zu einem rinnsal der fahlheit und der gefährlichen gewissheit aus verzweiflung und ausweglosigkeit. industrial und steter blues verbünden sich zu einem blenderfreien einblick in die tönerne heimstatt einer gefühlsstarken künstlerin.
mandolinen blinkern sich in den walzer, verzerrte strophen klopfen den zahmen beat. was war, wird so nie wieder sein. entschieden ist noch lange nicht, ob dies gut oder schlecht ist. unbestimmtheit ist ein kapitel der ruhelosen. herzereissen über den saiten einer strittigen e-gitarre, konterkarierendes schlagzeugmäandern, eingefädelt dunkles dräuen. beständiges wolkenziehen. schattenwerfen. zwischen den zweifeln wirkt carla bozulich schöner, stärker denn je. sie ist eine frau, die sich zerfetzt, die sich unter die schlagenen hämmern wirft, um den schmerz zu kontrollieren. auf "boy" scheint sie persönlicher und zugänglicher denn je. vielleicht beginnen ihre besten tage erst jetzt. hoffnungen schimmern. der blick auf die dinge verändert sich und sieht dieses, sieht jenes in einem neuen licht.
hatte sie je formuliert, dieses leben bis zu seinem unerbittlichen ende voll auszuloten?
"boy" erschien auf am 04. märz auf constellation records.
Die Komplett-Kopie von Willie Nelson's 'Red Headed Stranger' (auch das Original ist schwer zu empfehlen!) war damals ein großer Wurf. Die neue Scheibe ist bisher völlig an mir vorbeigegangen. Danke für den ausführlichen Hinweis,
AntwortenLöschenGrüße,
Gerhard
gerne!
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