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Samstag, Juli 14, 2012

konzert: patti smith, 12.07.12

die platte des fünf jahre älteren dylan hatte sie einst ehrfürchtig gekauft, da rumorte es noch gewaltig in der new yorker factory. jahrzehnte später kann man beide auf den bühnen dieser welt bewundern und muss doch jeweils ein anderes maß anlegen. während der altmeister in beschränktheit glänzt, denn viele nehmen ihm diese performance noch immer ab, setzt patti smith auf agilität und eine überraschende frische, die jedem skeptiker den wind aus dem segeln nimmt. große gesten aus einer wesenheit heraus, die wärme ausstrahlt, eine positive bewegtheit, integrität. patti smith scheint bei sich angekommen zu sein, mit sich und der welt im reinen, auch wenn es in dieser so viel zu verändern gibt. doch dafür muss man die leute mitnehmen, sie einladen. das tut die 1946 in chicago geborene. sie begrüßt winkend ihr publikum, sie öffnet immer wieder die arme, sie beugt sich über den bühnenrand, sie schüttelt hände. das schnelle miteinander vertrautheit sein ist jedoch für all jene ein trugschluß, die glauben, dass man sich nun gänzlich dem vergnügen hingeben darf, alten songs lauschen, um sich danach selig ins heimische geviert zurück zu ziehen. kuscheln mit patti smith gibt es nicht, sie ist eine art personalisierte forderung nach einer besseren welt. und wenn sie auch nicht die worte schwer wie ein köpfe hebelndes schwert schwingt, so schultert sie doch eine geschichte und ein engagement, das selbst in seiner betagtheit mahnkraft besitzt. ein zeichen sicher auch, dass patti smith in dieser stadt das konzentrationslager nicht links liegen lässt. dessen besuch schneidet sie an und blickt doch zugleich wieder voraus.gelbe schmetterlinge, vor dem geistigen auge.
und ja, wir befanden uns in dachau, dieser kleinen kulturenklave, unweit der bayerischen hauptstadt, die aus der unmittelbarkeit heraus neidisch herüber glotzen mochte, aber vom kuchen nur wenig abbekam. der rathausplatz war von gittern umschlossen, das leicht abschüssige gelände gab wenigen tausend menschen platz, um von überall hervorragende sicht auf die große bühne zu haben. an dieser stelle, wie bereits mehrfach zuvor, ein großes danke schön an die macher, ein gewaltiges respekt zollen für den windmühlenkampf im konzertegeschäft! Ihr macht das unglaublich, weil unaufgeregt und professionell. mia san mia findet zum glück woanders statt.

"dancing barefoot" vom '79er "wave" album ist ein unglaublicher einstieg, symbol und klangfetzen, midtempo und doch mit einem drive versehen, der sofort bindet. dichtung und blick zurück auf eine längst überwundene vergangenheit. das folgende "redondo beach" nimmt den faden auf und erinnert an smiths meisterwerk "horses". doch schon mit "april fool" schließt sich der kreis, da smith das erste mal "banga", ihr aktuelles album, zitiert. der song hat tragkraft, besticht durch eingängigkeit, die sich an harmonien wund reibt, und durch den kraftvollen und zugleich emotionalen gesang seiner protagonistin: "come you're the only one / come be my april fool / come come be my april fool / we'll break all the rules". doch der poesie folgt die erinnerung an ein krisen geschütteltes japan, das in kürze erdbeben und ein nukleares disaster verarbeiten musste. ihm ist "fuji-san" gewimdet. amy winehouse erhält ihre hommage im lied "this is the girl". später zerkloppt patti smith einen song, selbst geschrieben, wie sie meint und sie wird niemand anderen fragen können, wie sie nun fortfahren solle. zudem, grinste sie in die runde, würden vermutlich talentscouts im publikum sein, was ihre chance auf einen neuen plattenvertrag deutlich minimieren würde. "ghost dance" greift, "beneath the southern cross" von "gone again" sieht sich als schweres bindeglied zwischen patti und ihrem langzeit gitarristen lenny kaye, der zugleich mitautor ist, "because the night" wird zurecht bejubelt, in der zugabe brillieren "people have the power" und "rock 'n' roll nigger", nachdem mit "banga" der titeltrack des neuen albums zelebriert wurde. er beruft sich auf den treuen hund pontius pilatus', der bulgakows roman "der meister und margarita" nach seinem herrchen keine sekunde von der seite wich, 2000 jahre lang, vor der himmelspforte wartend, um von jesus vorgelassen zu werden.
mein persönliches highlight aber war "peaceable kingdom", da pattis gesang brüchiger und angegangener und zugleich sanftmütiger als je zuvor klang und so sehr berührte, dass sich gänsehaut einstellte.
was habe ich vergessen? "gloria", das durchaus etwas ausgewachsener hätte sein können, da ich doch so lautstark buchstaben skandierte, ein medley, in dem sich die jungs der band austoben durften, sowohl an ihren instrumenten als auch gesanglich und patti etwas rastete, ein lob an eben diese truppe, die sich künstlerisch auf der höhe zeigte, maßvoll, immer wieder mit notwendigem druck und einer subtilen finesse, die niemandem, vor allem nicht der frontfrau die show stahl, ein dank an den wettergott, weil er uns keinen regen bescherte und schließlich meine freude ob des wiedersehens mit h. aus d., das den abend perfekt abrundete.

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