seiten

Montag, Juni 21, 2010

frontier ruckus - deadmalls & nightfalls (2010)

treuemomente. es gibt nicht so viele davon. treuemomente. wenige minuten nur, die halten, was sie nicht versprechen konnten. denn zuvor steht an, die platte aufzulegen, den ersten umkreisungen zu folgen, um sich schließlich niederzusetzen und aufmerksam zu lauschen. die persönliche ergriffenheit folgt keinen schemata, sie pariert die überraschungen auf eigene, besondere weise. die töne im fluss, lieder ergebend. profan. aber nicht, wenn sie deine seele treffen. dann entstehen treuemomente.
vom neuen album der michiganer band frontier ruckus hatte man bereits manches gehört. einige tracks wurden bereits als demos auf die menschheit losgelassen, andere kannte man von session, livekonzerten oder aus dubiosen quellen. was sich am ende als vollständiges werk ergab, ist mehr als die summe der einzelnen teile. die truppe um matthew milia kreiert eine verzweifelnd schöne stimmung, sie ist zugleich bilderzauberer und magier der lyrik, ausbund an poetischer schönheit, zeichnet die mannigfaltigkeit von übermanntsein und einer niedergeschlagenheit, aus der weder rührseligkeit noch emotionale armut spricht, sondern das waidwunde des nicht tödlich getroffenen. "deadmalls & nightfalls" ist auf den ersten blick weniger enthusiastisch, überlegter, gegründeter und zurückgenommener. doch es ist zugleich auch unverstellter, bahnt sich die wege direkter, schließt unmittelbar dort an, wo des hörers rezeptionsadresse sitzt: im herz-hirn-seele-trakt. frontier ruckus bauen einen folkkreisel auf, der in jedem neuen lied aufs wiederholte in gang gebracht wird. zunächst lahmend, dank der peitschenhiebe aber flotter werdend, größere bahnen umfassend, raumgreifender. wo sich der instrumentelle reigen aus banjo, akustischer, trompete, horn, steel, mundharmonika, dobro und manchem mehr platz macht, findet sich eine heimat für aufmerksame, die mit unverstelltem blick nach den lücken im alltag suchen, ohne zu übersehen, dass sich die welt verändert und man zudem den standort immer wieder wechseln muss, um neue einblicke zu erhalten. frontier ruckus sind: matthew milia, david w. jones, zachary nichols und ryan "smalls" etzcorn.
1. nerves of the nightmind: der roughe charakter des demos macht einer viel sanfteren version platz, einleitend mundharmonika, ein flinkes banjo, drums, später gesang und gitarre, der charakter des tracks bleibt dennoch erhalten, eine atemlose bestandsaufnahme einer sich beständig verändernden welt, ausklang mit pauken und trompeten, wie es sich geziemt,
2. ontario: flatterhafte (uiiih, die singende säge zischelt und züngelt), fliehende poesie, ausdruck lebendiger liebe zu orten "...i see your stature when breathing and turning / smoking the black blur as if something’s burning / remember the gray-slate coming of some thrill / the low sky of too-late up on bunker hill...", schwungvoll ohne zu überdrehen, engagiert ohne zu betonen, lebendig ohne vergessend zu machen, malerisch, anschaulich, bewegend,
3. springterror: erinnerung, gespeicherter reichtum, festgehalten die guten wie die schlechten bilder in rätselhafter lyrik, das banjo deckt den rückraum ab, milia knarzt über seine stimmbänder, auf den flügeln gitarre, fiddel und backgroundgesang, hie und da ein stimmeerheben und die ahnung von amerikanischer folklore, die nah am alltag, nah am herzen ist, wunderbar,
4. ringbearer: erfrischend und euphorisch und zugleich eine last verteilend, die sprache anziehend und rau, ein lied zur klage und ein aufruf zum verzeihen, banjo und trompeten forcieren und machen glaubhaft, dass es ein danach gibt, nach dem schmerz, nach der erinnerung, nach dem verletztsein,
5. silverfishes: scheinbar undurchdringlich, ein dicht geflochtenes soundgerüst aus flinken banjo-, breiten trompeten- und angestrengten gitarrenlines, hinzu die wenig sattelfesten worte von liebesbeweislast und dem unmut darüber, ein ausgezeichnetes beispiel für formvollendetes, narratives aufspiel, wie die trompete der lyrik flügel verleiht, das banjo lustvoll befördert und die mitspieler scheinbar die bahn halten für einen dem ausbüxen nahen sänger,
6. the upper room: herrlich auch hier der wechsel von atmosphäre, mehr aufgeräumt und weniger bedrängnis ist "the upper room", doch auch ein gefühlsschweres epos, zeugnis einer dichten bildersprache und einer herzensfülle, wie man es derzeit kaum wo finden kann, milia lässt alles licht erscheinen und mit einem wink verwehen, sehnsüchtig stiert man den blaupausen von lebendigkeit nach: "...i see two parents in one sleeping visage / beneath two soft tufts of swerving brows / did you sense the burning? / well that was my message / a marking to come build a room somehow / a burning breathing room.", der melodiefaden so träge verdreht, doch ausreichend genug, um den gedankensprung abzuhängen, stilmittel, kluger besatz, zufall?, wunderschön in jedem fall,
7. does me in: reiben an der liebe, die weder statisch noch unfrei an veränderungen ist, magerer erkenntnisgewinn gegen hoffnungtragendes irgendwas, milia und gitarre, trautes beieinander, später in vollem ornat, ein knackiges banjo sei hevorgehoben, zauberhaft,
8. the tower: ein moment nur, der gedanken gefüllt, von poesie benetzt, angemalt mit weichen, breiten pinseln wird, die die ränder mißachten und tuschen ton für ton, erhabenheit in aquamarin,
9. pontiac, the nightbrink: das thema des albums, das sterben von orten, die metamorphosen, die düsternis und abgestandenheit bringen, doch die herzen hängen am vertrauten und brechen daran, so wirr schwingend wie die singende säge, so wirkungsstark sind diese wahrheiten, sie fliehen unter den zugigen industrielandschaften, den verlassenen gebäuden, den armseligen treffpunkten all der zurückgelassenen, so bildhaft, so nah, so betroffen machend wie all die anderen erkenntnissen deren unumstösslichkeit bleibt und nachbebt,
10. how could i abandon?: so fein, so sacht das aufspiel, glitzernd der gitarre noten, so hart mit sich ins gericht gehend der sänger, die stimme milias auf sonderbare weise entrückt und von rustikalität befreit, zugleich lahmend und belastet, hier werden leise feuer geschürt, die gitarre streift herum, wie ein irrendes tier,
11. i do need saving: milia im taumel mit anna burch, einfach nur schön, wie die beiden harmonieren, zauberhaft ornamentiert von diversen saiteninstrumenten mit momenten an klarheit und einer spröde im text, die unheimlich lange nachhallt,
12. pour your nighteyes: "pour your nighteyes / on me / pour your sorrow or your memory / when the yardfence darkens / i can really see", ausklang...
das album ist lang geworden. zumindest beträgt seine gefühlte länge mehr als eine stunde. doch sie ist so erstaunenswert reichhaltig gefüllt, und im vergleich zu anderen folkwerken dieser tage klischeefrei und frei von betonung. denn frontier ruckus gelingt ein ausscheren in eigene bahnen. besonderen anteil hat daran die poesie matthew milias. sie ist vital und voller einprägsamer bilder, zugleich aber lässt sie interpretationsspielräume und zwingt den betrachter nicht in ein steifes korsett. eine sprache, die nicht nur auf inhalte pocht, sondern lebendig räume füllt, rhythmen nachhängt und sich an klänge anzupassen weiß. die symbiose aus musik und text ist einmalig gelungen. neue standards werden gesetzt.
die persönliche ergriffenheit folgt keinen schemata, sie pariert die überraschungen auf eigene, besondere weise. die töne im fluss, lieder ergebend. profan. aber nicht, wenn sie deine seele treffen. dann entstehen treuemomente.
"deadmalls & nightfalls" erscheint am 20. juli auf ramseur records.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen